KÜNSTLER  
Oswaldo Forty
Sâo Paulo Brasilien

Ausstellungen
o caminho do sol   Thomas-Morus-Akademie   Olho do Anhanga
Texte


Prof. Dr. Günter Zehnder (Kunsthistoriker)

Neri Batista - Curitiba (Critico de Arte)
Günter Braunsberg, Nürnberg (Kunsthistoriker)
Klaus Treuheit, Dr. phil., M.A. (Composer & Pianist)

Biografie
Oswaldo Forty

Auszüge aus einer Rede von Prof. Dr. Zehnder,
Direktor des Rheinischen Landesmuseums, Bonn. (1996)
Ausstellung in der Thomas Morus-Akademie Bensberg 24.9.-1.12.1996

Thomas-Morus-Akademie

Zu den Arbeiten von Oswaldo Forty, São Paulo Brasilien
"Erinnerung und Ausblick"

...es lohnt sich unbedingt, sich mit dem hier vorgestellten Werk von O.Forty näher zu beschäftigen, denn wo sieht man heutzutage eine in sich so geschlossene thematisch zusammenhängende Vorstellung brasilianischer Kunst unserer Tage.

Ich versuche nun das Thema von Forty zu umkreisen und dabei in eine Gegenüberstellung von Bildern des Künstlers und Werken der europäischen Kunstgeschichte, die kontinentalen und individuelle Besonderheit seiner Kunst - aber auch den internationalen Zusammenhang der Kunst ein wenig zu umrunden.

Die Werke von Forty bewegen sich zwischen figurativ und abstrakt. .... Jedes Bild - auch die abstrakten Bilder - oder in der Nähe der Abstraktion stehen, wie die von Forty, arbeitet mit dem Verhältnis von Illusion und Wirklichkeit, steht in einer Geschichte, in einer persönlichen Geschichte, in einer Erzählungsgeschichte und bezieht sich doch auf die Gegenwart. Bilder sind aber auch Botschaften, sind Appelle, sind Meditationen oder Propaganda. Sind Reflexionen und Vorwürfe, sind Nachrichten und Provokation. Als ästhetisches Element sind in ihnen sehr unterschiedliche Anrufungen, vom spirituellen bis zum emotionalen, vom geschichtlichen bis zum aktuellen politischen - auch in diesen Bildern verpackt.

...Bei den folgenden Betrachtungen geht es um den Kopf, den Schädel, das menschliche Gesicht um Personen und Persönlichkeit. Aber auch um ihre Umweltkommunikation, um ihre Multiplikation, um die Menge. Da geht es einmal um das Extrovertierte und um das Introvertierte, das mit Denkerpose, das mit Blickrichtungen Im Kopf und im Gesicht liegt der signifikante Ausdruck menschlicher Eigenheiten und persönlicher Individualität, der Ausdruck von Regungen, Aufregungen und auch von Reflexen. Der Kopf ist also Stellvertreter für Person, für Handlung und für Charaktere.

Auf der rechten Seite (Diashow) sehen sie eine Arbeit von Hironymus Bosch um 1500 im Escorial, Spanien. "Die Krönung". Sie können leicht ablesen, dass jedes Gesicht einen bestimmten Ausdruck des Bösen, des Lasterhaften und Boshaften hat.... wie auch das Werk von Bosch "die Kreuztragung" in Gent, in dem dieses Interpretieren der Charakterzüge von Gesichtern der Ausdruck des inneren Wesens die erste höchste expressive Blüte der europäischen Kunst überhaupt in der Kunstgeschichte erfahren hat. Vor den Bildern Forty's (Dia) kann man sich eines Gefühls der Bedrückung, der Beklemmung, der Warnung aber auch der Leichtigkeit und des Schwebens kaum entziehen. Es ist nicht ein moralischer Appell allein, der uns zu fesseln scheint. Es sind im gleichen Atemzuge die malerische Kraft und der künstlerische Anspruch, die dahinter stehen. Es geht nicht nur um das Verhältnis von Grimasse, Grimassen zu entlarven, sondern in den Werken von Forty geht es wohl darum, ein Verhältnis zwischen Zaghaften Enthüllen und Belassen der Verhüllung herzustellen, d.h., nicht das letzte Geheimnis abzutrotzen, sondern Geheimnisse auch in die bekannten Normen einzubringen.

Wir sehen in Forty's Bildern Individuen und Masse, Handelnde und Behandelte, Schreiende und Schweigende, Peiniger und Dulder. In der Reihung wird das Individuum zum Glied einer Kette, zur Randerscheinung oder zum Mittelpunkt. Es scheint unterzugehen in der Menge und doch behält es seine unterscheidbare Ausdrucksweise.....

Ich stelle hier der Arbeit von Forty die berühmte Darstellung von Francesco Goya "die Wallfahrt des hl. Isidor" gegenüber. (1819, im Prado, Madrid). ... Wahrscheinlich ist dieses Bild dem brasilianischen Künstler nicht bekannt.... Es geht bei beiden Werken - sowohl bei Forty als auch bei Goya - zumindest in dieser Zeit und in diesen spirutellen Themen um entmaterialisierte Wesen. In der Gruppe eine monumentale Gestalt, Stille, Transparenz, Durchsichtikeit.... Die Durchsicht der Details in den Bildern Fortys macht mit völlig unterschiedlichen Charakteren bekannt. Spiegelt Situationen zwischen Leiden und Aufbegehren, zwischen Unterdrücken und Standhalten, zwischen Allmacht und Ohnmacht, zwischen Aktion und Passion, zwischen Vision und Gegenwart - so wie es das Werk Goyas ebenfalls tut....... "Hexensabbat" von F. Goya, Prado Madrid. Es handelt sich bei beiden Werken (Goya wie Forty) um eine direkte Ansprache, ja eine Art Bannung, bei der man sich ertappt fühlt, wenn man sich vor ihnen davonstehlen möchte. Nicht umsonst schauen in den Werken Fortys den Betrachter alle Augen im Bild an, nicht der Betrachter prüft mit Kennerblick das Bild, sondern das Bild schätzt ihn, den Betrachter ein. Stellt damit gewohnte Bildanalysen und Kunstbegegnungen im Galeriebetrieb gewissermaßen auf den Kopf.

Geheimnisvolle Wesen gegegnen uns in den Bildwelten des einen sowohl als des anderen. Sie kommen in reale oder irreale Räume, aus der Überwelt in unsere Welt hinein. Ist das Vision oder Nachricht? - Die Menschen in zahlreichen Werken Fortys sind gezeichnet und bezeichnet, sie tragen lesbare Buchstaben, unbekannte Chiffren, rämische oder lateinische Zahlen. .. Hier begegnen uns die Mitnahme von Fetzen der Wirklichkeit, die sich dann durch das Einarbeiten von Zeitungsausschnitten, in Anzeigen und Nachrichten noch deutlicher zu realisieren scheinen.

Mensch und Maske - auch ein Aspekt in zahlreichen Werken Fortys. Mensch und Maske, das ist in der Kunst ein seit Jahrhunderten geschätzten Thema. Hier geht es um das wahre Gesicht, es geht auch darum, ein "Gesicht zu haben" im Sinne von Profil - auch im Sinne von Vision über die Realität hinausschauen zu können, bzw. in der Realtität sich zu behaupten. Es geht darum, Visionen zu entwickeln - bis an den Rand der Ekstaste - zwei Aspekte, die in den Werken Fortys anklingen.
.... Das Werk von Edward Munch "die Angst", 1894, Oslo streifend, sei verwiesen auf den großen Grad der Emotionalität, die in den Werken von Forty immer wieder herausschreit. Sie ist ein tragendes Gestaltungselement seiner Bilder. Er scheut sich nicht, Gefühle zu zeigen und ins Bild einzubringen. Hier geht es letztendlich um das Verhältnis von Tradition und Zuspruch. Sie prägt den Menschen und sie prägt die Generation des Menschen. Die Orientierungen der Religionen, der Techniken, der Machtausübungen sind ohne sie, ohne dieses Verhältnis nicht denkbar. Das Verhältnis prägt Wissenschaft, Künste, nachhaltig. Auch das klingt in diesen Arbeiten von Forty an, das "religio", die Rückbindung also, der Grundbegriff unseres Religionsverständnisses - der hier mit der eigenen Biographie zusammenhängt. Sie können in Fortys Biographie nachlesen, dass er brasilianisches Indioerbe in seinen Adern trägt, vermischt mit der Volksfrömmigkeit der christlichen Kultivierung. Hier spiegelt sich Volksfrömmigkeit, Gebräuche, wie den Allerseelentag, der Totenkult als Gespräch mit der Geschichte, spiegelt sich Glauben und Spiritualität, Mythen und Ahnenkult - spiegeln sich schließlich archaische Aspekte der zeitgenössischen Kunst wider. Der Zeitbegriff, das Verweilen zwischen Werden und Vergehen, das Verhältnis von Vorzeit, Lebenszeit und Ewigkeit sind Elemente, die in der Art von Bildstruktur und Bildaussagen relevant sind.

......Die Anordnung der Köpfe auf der Fläche ist nicht willkürlich, folgt nicht nur spontanen Experimenten, sondern läßt immer auch einen größeren systematischen Zusammenhang erkennen, wie hier an der Bogenform, die das Geschehen baldachinartig überdeckt. Kreisförmige Anlagen, die Andeutung eines Kirchenbaus......

....Die mit weiß kalkig vermischen Farben, die ein wenig schemenhaften Köpfe der Arbeiten Fortys vermitteln den Eindruck, man begegne einer schon lange auf ihre Entzifferung wartenden Botschaft. Die weitgehende Gleichförmigkeit der Köpfe und ihre gleichzeitige Individualisierung ... lassen einen Zwischenzustand zwischen Traum und Wirklichkeit vermuten.
Oswaldo Fortys Bilder kommen aus einer fernen Welt und doch inhaltlich so nah. ..Sie beschwören den Verlust von Menschlichkeit, von Rückbindung und scheinen einen wie auch immer geartetes Grauen bannen zu wollen.... Vielleicht iest es auch ein Hauch von Fatalismus, der mit sprach- aber nicht ausdruckslosen Gesichtern Verweigerung aufdrückt. Malerei suggeriert manchmal ein geradezu stigmatischen Ausdruck.Die Werke von Forty zeigen zugleich Stille und Bekenntnis, sie sind von äußerster Dichte und Intensität.

Herzlichen Dank.......